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Die Ästhetik der Maßlosigkeit und Opulenz - Die Schirn zeigt Bruno Gironcoli

Bruno Gironcoli in seinem Atelier, Kurzbauergasse, Wien, 1997, Architekturzentrum Wien, Sammlung, Foto: Margherita Spiluttini

 

Bruno Gironcolis Ästhetik der Maßlosigkeit und Opulenz, die ständig Wucherungen und Schnörkel ausbildete, hat unzählige jüngere Künstler inspiriert. Der Österreicher gilt als einer der wichtigsten Bildhauer seiner Generation. In seiner persönlich gefärbten Bildsprache schuf er seit den frühen 1960er-Jahren in erfinderischer Unersättlichkeit ein sehr eigenwilliges Œuvre. Mit immer neuen Werkgruppen gelang es ihm, eine jeweils unverkennbare, überraschende Sprache zu finden. Nacheinander entstanden Drahtplastiken, Hohlkörperformen, Polyesterobjekte und irritierende Environments. Der Mensch mit seinen Abgründen befand sich dabei im Zentrum seiner künstlerischen Arbeit.

Die Schirn präsentiert vom 14. Februar bis 12. Mai 2019 eine Auswahl monumentaler Skulpturen aus dem Spätwerk Gironcolis (1936–2010).

Der mit dem Österreichischen Staatspreis ausgezeichnete Künstler übernahm 1977 die Leitung der Bildhauerschule der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ermöglicht durch die großzügige Ateliersituation entstanden raumfüllende, oft raumsprengende Skulpturen, die als Hauptwerk des Künstlers gelten. Als seien sie einem Theater des Absurden oder einer surrealen Traumwelt entsprungen, erscheinen die gigantischen Objekte wie Prototypen einer neuen Spezies, getaucht in glänzende, verführerische Oberflächen aus Gold, Silber und Kupfer.

Die Skulpturen vereint eine fließende Verbindung von erkennbaren und ornamentalen Formen, die vegetabilisch wuchern. Maschinenartige Elemente treffen auf plakative Symbole und provokative Schnörkel. Nicht ohne Witz sind sie, augenzwinkernd gibt Gironcoli ihnen mit Gold-, Silber- und Bronzefarbe, welche die Werke wie gegossen aussehen lässt, eine vermeintlich edle Haut. Nur wenige von ihnen existieren tatsächlich als Güsse in Aluminium, wie etwa die in der Rotunde der Schirn gezeigte Arbeit Ein Körper, zwei Seelen (2001). Die meisten der Skulpturen bestehen aus Stangen, Rohren und Blechen, Holz-Eisen-Gebilden, die der Künstler mit seinen Assistenten in die gewollte Form gebracht hat. Immer wieder baute Gironcoli sie um oder verwendete Versatzstücke. So sind seine Arbeiten niemals statisch.

 

Bruno Gironcoli, Prototypen einer neuen Spezies, Ausstellungsansichten, Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2019, Fotos: Hans Christian Krass

 

Die klare, abstrakte Konstruktion der Prototypen wird immer wieder durch gegenständliche Details gebrochen, wie Hörnchen, Säuglinge, Weinfässer oder schlüsselartige Objekte. Sie brechen in diese konstruierte Welt ein wie das Irrationale, das das Rationale überwuchert oder durchwächst. Die Prototypen bestechen durch Maßlosigkeit, die sich nicht allein in der monumentalen Dimension zeigt, sondern auch in ihrer Komplexität – es sind Gebilde, die ästhetisch reizvoll und vielschichtig in ihren Bedeutungen sind. Sie verbinden Mechanik und Organismus, Psychisches und Technisches.

Seine Prototypen, diese maschinenhaften Wesen, wirken äußerst lebendig, beeindrucken mit ihrer Monumentalität und könnten ebenso archaische Funde wie utopische Entwürfe sein. Obgleich Gironcoli mit seinem eigenwilligen, singulären Œuvre ganze Generationen von Künstlern prägte, auf den Biennalen von São Paulo und Venedig ausstellte und immer wieder in großen Ausstellungen präsentiert wurde, ist er in Deutschland leider immer noch viel zu wenig bekannt und geschätzt.
— Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Sexualität ist in Gironcolis Monumentalskulpturen stets latent vorhanden. Ein Weinfass hat eine Vulva und ist von altertümlichen Fruchtbarkeitssymbolen wie Ähren, Weintrauben und Weinblättern umgeben. Allen Skulpturen ist eine symbolisch aufgeladene Körperlichkeit zu eigen. Auch das Unheimliche ist in diesen monumentalen Maschinen allgegenwärtig, die scheinbar nur für den Moment der Betrachtung erstarrt sind und im nächsten Augenblick zum Leben erwachen könnten. Bekrönt werden die Prototypen meist von einem Element – Murphy –, das Gironcoli bereits früh in seinem Schaffen erarbeitet und immer wieder verwendet hat. Seine zahlreichen Varianten spielen eine zentrale Rolle. Murphy ist auch der Titel und der Protagonist des ersten, 1938 erschienenen Romans von Samuel Beckett. Diese Figur steht für die Absurdität des menschlichen Strebens und für ein Außenseitertum, dem sich Gironcoli offenkundig verbunden fühlte. Murphys Weigerung, sich dem Diktat der alltäglichen Notwendigkeiten zu unterwerfen, spiegelt sich nicht zuletzt in der Verweigerung der Anpassung in Gironcolis Werk.

www.schirn.de

Kuratorin: Dr. Martina Weinhart
Foto (Header): Bruno Gironcoli, Figur mit großen Scheibenformen und Spitzköpfen sowie zwei (nicht ausgeführten) Spiralformen, 1986-1990 / 1995, Eisen, Holz, Kunststoff, 300 x 245 x 210 cm, Gironcoli Museum, Herberstein, The Estate Bruno Gironcoli, Foto: Hans Christian Krass