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Friendly Symbols - Christian Bär und Manuel Schneidewind

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Am Anfang war die Flut: der Bilder im Netz und in der Stadt. Graffitis auf Häusern, Selfies auf Instagram, Fahrpläne an Straßenbahnhaltestellen. Zeichen, die abbilden, was schon da ist, und im selben Moment etwas Neues sind, zur Tat schreiten, indem sie angesehen werden. Das Leben, zu dem sie erwachen, hängt ab vom Blick, der auf sie fällt. Am Anfang war auch das Wort, wie das Bild ein Zeichen: für das Gesagte, Gedachte, Gesehene dahinter. Wo endet das Wort, und wo beginnt das Bild? Was unterscheidet das Deuten der Sprache von der Interpretation durch den Blick? Alles wird eins im Symbol. Symbole bilden die Welt ab, und sie erschaffen Welten. Wie ein Fingerzeig weisen sie auf etwas hin und sind zugleich nur sie selbst. Die Differenz zwischen Zeichen und Bedeutung ist aufgehoben.

Die Arbeiten von Christian Bär und Manuel Schneidewind entspringen dem intuitiven Blick auf das, was beide alltäglich umgibt. Anstelle der Analyse von Bedeutungen geht es ihnen darum, Sinnlichkeit zu erfassen. Die gewonnene Erkenntnis wird zur Grundlage neuer, visueller Deutungen. Dabei entsteht eine Formensprache, die Referenzen ahnen lässt, aber jede Eindeutigkeit vermeidet. Die friendly symbols sind Hinweise, aber zugleich eigene, in sich sinnhafte Realität. Im Raum schwingen sie sich zu Akteuren auf, und abseits glatter weißer Wände kommt zusammen, was vorher nicht zusammengehörte. Vorhandene sowie eingefügte Raumelemente werden zu Mitspielern von Bärs Malereien und Schneidewinds Skulpturen. Sie bilden eine ambivalente Struktur aus Flächen, Farben und Körpern, und der Raum wird zur Heterotopie, einem anderen Ort, der vorhandene Realitäten aufgreift und neu formatiert. Hier entspinnt sich das Netzwerk zwischen den Arbeiten der Leipziger Künstler, deren formale Ähnlichkeiten nicht von der Hand zu weisen sind. Doch die entscheidende Verbindung ist der Ansatz, einzelne Assoziationen und Eindrücke zusammenzubringen und Neues entstehen zu lassen.

 
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Manuel Schneidewind, Diana, 2018

Manuel Schneidewind, Diana, 2018

 

Schneidewinds Figuren sind ganz eigene, personhafte Wesen. Er sucht und findet sie beiläufig, im Banalen, Alltäglichen des urbanen Raums, der ihn umgibt. Auf der Straße oder beim Blick aus dem Fenster tauchen Formen auf, die einen eigenen Charakter assoziieren lassen. Dieser wird über den Weg der Linie in Zeichnungen erfasst und weiterentwickelt, wobei in zahlreichen Kritzeleien und intuitiven Entwürfen immer komplexere Formkombinationen entstehen. Dieses visuelle Ausgangsmaterial wird anschließend selektiert – und übrig bleiben Skizzen, die auf überraschende Weise wieder den Moment hervorrufen, in dem Beobachtung und Assoziation zusammenkamen. Von den Entwürfen ausgehend, färbt, schneidet, klebt und faltet Schneidewind Stoffformen, kombiniert ihre unterschiedlichen Texturen und füllt sie mit Schaumstoff. Die entstehenden Gebilde werden partiell weiter bemalt. Der Raumbezug ergibt sich erst im Arbeitsprozess und folgt einer gewissen Notwendigkeit: Figuren, deren Charaktere es verlangen, bewegen sich aus der Zwei- in die Dreidimensionalität. Wie sie sich schließlich im Raum verhalten, gibt viel über ihren jeweiligen Charakter preis.

Geschmeidig und mit dem Rücken zur Wand können sie Verbindungen zu anderen Spielern suchen (Diana, 2018. Hier wie bei den übrigen Skulpturen: Gefärbtes Cotton, Schaumstoff, MDF) und dabei elegant Hindernisse umschiffen. Oder sie nehmen trotzig und behäbig Platz ein, um dann unsicher angesichts der eigenen Forschheit zu wirken (Nenner-Karambolage, 2018). Ein Charakter im Abseits scheint eher auf den Raum als auf die anderen Elemente bezogen, als würde er der eigenen Zugehörigkeit nicht ganz trauen. Eigenheiten der anderen Mitspieler integriert er in sein eigenes Wesen, statt offen Interesse zu zeigen (Chesterfield, 2018).

 
Manuel Schneidewind, Nenner-Karambolage, 2018

Manuel Schneidewind, Nenner-Karambolage, 2018

Manuel Schneidewind, Chesterfield, 2018

Manuel Schneidewind, Chesterfield, 2018

 

Im Zusammenspiel mit Bärs Malereien ergibt sich ein Gefüge, das mit Nähe und Distanz spielt. Oft ist nicht ganz klar, welches Objekt, welches Bild unauffällig Eigenheiten anderer Mitspieler nachahmt oder offensiv auf sie reagiert. Bedeutungen sind schnell bei der Hand und schnell wieder weg. Und ebenso wie Schneidewinds Skulpturen wehren sich Bärs Bilder gegen das Konstrukt der Eindeutigkeit.

Die Formen, die Bär in seinen Arbeiten verhandelt, begegnen ihm im Strom digitaler Bildwelten: instagrammable oder abseits dessen, was andere überhaupt wahrnehmen, ikonisch oder beiläufig erhascht. Ein intuitiver Blick entscheidet, was zum Ausgangspunkt der Zeichnungen wird, die als Grundlage seiner Arbeiten dienen. Auf dem iPad entstehen organisch geformte graphische Elemente, die sich dominant auf der Leinwand wieder finden. Auf den ersten Blick schälen sie sich als abstrakte Symbole aus einer schwarzgefärbten Fläche. Dabei geweckte Assoziationen geben keine Antwort auf die Frage, ob diese intendiert sind oder von der Betrachterin eingetragen. Doch so soll es sein im Spiel ohne Regeln, der unendlichen Semiose. Auf den zweiten Blick werden die graphischen Formen Momente lang zu Figuren in einer tänzerischen, kommunikativen Szene (Vision, 2018, wie alle: Öl auf Leinwand), zum Objekt, morphologisch gefangen zwischen Standhaftigkeit und ausufernden, charaktervollen Gesten (Pokal, 2018), oder, als Elemente einer urbanen Landschaft, zum System aus Straßen und Wegen (Traffic, 2018). Konkreten Denkversuchen entziehen sie sich ohnehin, um auf den dritten Blick als rätselhafte Schemen im Hintergrund zu verschwinden. Dort bilden sie eine Art Rahmen, denn in diesem Moment richtet sich die Aufmerksamkeit auf die durch die Zeichen freigestellten Leinwandflächen, von Bär gefärbt und übermalt. In der materialen Zweidimensionalität erscheinen nun Landschaften und Figuren, die vom Kontrast leben: zwischen dem festen, schablonenhaften schwarzen Rahmen – und dem Spiel, der Intuition, der Haltlosigkeit der Farbe, die dieser Rahmen ermöglicht.

 
Christian Bär, Traffic, 2018

Christian Bär, Traffic, 2018

Christian Bär, Pokal, 2018

Christian Bär, Pokal, 2018

Christian Bär, Vision, 2018

Christian Bär, Vision, 2018

 

In den friendly symbols schimmern stets Zeichen einer Botschaft, die man sucht. Ob es sie tatsächlich gibt, ist egal, entscheidend ist die Eigenart der vermeintlichen Verweise. Denn Manuel und Christian finden mit ihren Arbeiten Wege durch unübersichtliche Bildwelten, ohne dem Imperativ der Erklärbarkeit auf den Leim zu gehen. Wie faszinierte Wanderer in einer Landschaft begegnen sie den Formen des analogen und digitalen Alltags. Sie beziehen sinnliche erfahrbare Standpunkte, idealisieren das Banale und spielen strategisch mit dem Zufall, statt daran zu verzweifeln. Das Festhalten gesehener Bilder durch das erneute Bild geschieht nicht ironisch gebrochen oder kritisch distanziert. Härten und Brachialitäten werden zwar nicht negiert, aber aufgehoben in einem symbolischen Gefüge, das die Möglichkeit des Schönen zeigt. Eine post-ironische, beinahe romantische Geste.

Christian Bär

Geboren 1989 in Stuttgart
Lebt und arbeitet in Leipzig

2015 Diplom, Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig
2010–2015 Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, Klasse Prof. Ingo Meller

Manuel Schneidewind

Geboren 1988 in Leipzig
Lebt und arbeitet in Leipzig

2015 Diplom, Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig
2009–2015 Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, Klasse Prof. Annette Schröter

www.storagecapacite.eu
www.christianbaer.net
www.manuelschneidewind.de

Text: Eva Finkenstein
Fotos: Storage Capacité

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