Zwischenräume der Wahrnehmung – Die Malerei von Michelle Jezierski
Die Werke der Berliner Künstlerin Michelle Jezierski entziehen sich eindeutigen Zuschreibungen. Ihre Gemälde entfalten sich im Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Figuration, zwischen materieller Oberfläche und innerem Empfinden. Jezierski interessiert sich nicht primär für das Abbilden von Landschaften, sondern vielmehr für deren geistige Essenz. Für jene unsichtbaren Übergänge, in denen Wahrnehmung, Erinnerung und Raum ineinander übergehen.
In ihren jüngsten Werkserien erschafft Jezierski vielschichtige Bildräume, in denen sich unterschiedliche zeitliche und räumliche Ebenen überlagern. Sie nutzt die Struktur von Rastern und geometrischen Formen, um eine Art visuelles Gerüst zu schaffen, das gleichzeitig Halt und Irritation bietet. Diese linearen Elemente, oftmals in Form von Gittern oder diagonalen Brüchen, stören die visuelle Harmonie bewusst. Sie deuten auf Verschiebung und Wandel hin und eröffnen einen Raum der Ungewissheit.
In Jezierskis Arbeiten durchziehen feine Linien und subtile Risse die Leinwand und wirken wie tektonische Spannungen. Der Bildraum gerät in Bewegung, seine Stabilität erscheint nur als Momentaufnahme. Farben fließen ineinander, Formen lösen sich auf oder treten neu hervor: eine Dynamik, die an musikalische Kompositionen erinnert. Tatsächlich spielt die Musik eine wichtige Rolle in Jezierskis Denken. Harmonien und Dissonanzen, Wiederholungen und Übergänge strukturieren nicht nur Klang, sondern auch ihre malerischen Kompositionen.
Jezierskis Bilder sind keine Fenster zur Welt, sondern meditative Räume, die sich dem Betrachtenden nur allmählich erschließen. Sie fordern zur genauen Beobachtung auf und eröffnen dabei Zwischenräume. Sowohl im Motiv als auch im eigenen Erleben. Jezierski beschreibt Landschaft als Metapher für innere und äußere Zustände: Das Gesehene wird zum Spiegel der eigenen Wahrnehmung. Ihr Ziel ist es nicht, Orte darzustellen, sondern Atmosphären zu erzeugen, die über das konkrete Motiv hinausweisen.
Die Technik hinter dieser Wirkung ist ebenso vielschichtig wie ihre inhaltliche Intention. Schicht für Schicht trägt Jezierski Farbe auf, überarbeitet und verwirft, bis sich eine fragile Balance einstellt. Die Oberfläche bleibt stets durchlässig, durchzogen von Spuren früherer Stadien, ähnlich einem Palimpsest. In dieser Struktur verbinden sich Vergangenheit und Gegenwart, Abbild und Idee.
Dabei bleibt stets eine Spannung bestehen: zwischen Kontrolle und Zufall, Klarheit und Ambiguität. Jezierski lotet aus, wie weit sich gegenständliche Bezüge reduzieren lassen, ohne ihre emotionale Wirkung zu verlieren. Ihre Werke fordern ein Betrachten, das über die Oberfläche hinaus in einen Möglichkeitsraum führt.
Michelle Jezierskis Arbeiten sind eine Untersuchung der Übergänge. Ihre Bilder verweisen auf das, was zwischen den Dingen liegt. Zwischen Farben, Formen, Zeiten und Zuständen. In einer Welt, die zunehmend von Eindeutigkeiten geprägt ist, eröffnet Jezierski ein poetisches Plädoyer für das Ambivalente und Fragile, für das Unsichtbare im Sichtbaren.