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Ruinen der Gegenwart

Clemens Botho Goldbach, Installationsansicht

Clemens Botho Goldbach, Installationsansicht

 

Unsere globalisierte Gegenwart kann als Zeitalter der Ruinen charakterisiert werden. Weltweite politische Instabilität und medial omnipräsente Bilder der Zerstörung liefern uns Ruinen quasi frei Haus. Anders als in der klassischen Betrachtung der Ruine, der gedankenverlorenen Meditation über eine ferne Vergangenheit, steht heute die Frage nach ihren konkreten Ursachen im Vordergrund. Die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung Ruinen der Gegenwart thematisieren, wie Ruinen zu Indikatoren politischer, wirtschaftlicher oder ökologischer Prozesse werden und zu ästhetischen Spekulationen über die Zukunft anregen.

Einst standen Ruinen für Vergänglichkeit schlechthin. Sie versinnbildlichten den Kreislauf, in dem die Natur sich alles, was der Mensch ihr abgerungen hat, schließlich zurückholt. Diderot beschrieb 1767 exemplarisch: "Ruinen erwecken in mir erhabene Ideen. Alles wird zunichte, alles verfällt, alles vergeht. Nur die Welt bleibt bestehen, nur die Zeit dauert fort." Die Aktualität dieser Lesart befragt Clemens Botho Goldbach im Hinblick auf ihre Bedeutung als zeitgenössische Verkörperung des Idyllischen und Erhabenen, in RUINE KAI 10, einer der drei raumgreifenden, für die Ausstellung neu konzipierten Installationen.

Dem steht die Ruine als Zukunftsprojektion gegenüber: wenn etwa beim Entwurf von Monumentalbauten gleich mitgedacht wird, wie sie nach ihrer Zerstörung aussehen könnten. Albert Speers Theorie des Ruinenwerts erfährt durch den japanischen Architekten Arata Isozaki eine produktive, über den problematischen ideologischen Kontext hinausführende Neuinterpretation, wenn er die zeitlich begrenzte Gültigkeit seiner eigenen Architekturentwürfe bildhaft skizziert.

Zunächst einmal sind Kriegsruinen des Zweiten Weltkriegs oder heutige Ruinen in Syrien politische Zeitzeugen. Die Zerstörung der Überreste der antiken Oasenstadt Palmyra beispielsweise steht synonym für die kulturelle Repression und den Vandalismus des sogenannten Islamischen Staats. Morehshin Allahyaris Projekt Material Speculation: Isis schlägt die Rekonstruktion zerstörter Kulturgüter mit digitalen Mitteln vor. Ihre im 3D Druckverfahren produzierten Objekte sind keine illusionistischen Imitationen, sondern klar als Kopien erkennbar. Allahyari legt den Fokus auf die in den Artefakten enthaltenen Informationen und setzt dem verlorenen Unikat die schier unendliche Vervielfältigung mittels digitaler Techniken entgegen.

Francis Alÿs’ Film The Silence of Ani setzt sich mit den Resten der seit mehr als drei Jahrhunderten verlassenen, ehemaligen armenischen Hauptstadt Ani auseinander. Die schwarz-weiß Aufnahmen einer malerischen Landschaft stecken voller subtiler, poetischer Verweise auf die bis heute anhaltenden kulturellen und kriegerischen Konflikte in der auf türkischem Gebiet liegenden Region.

Die Relikte der aztekischen Kultur im mexikanischen Yucatán bereiste schon Robert Smithson, einer der historischen Bezugspunkte heutiger Ruinenästhetik. Katya Gardea Browne verfolgt einerseits Smithsons Spuren, zeigt aber auch die unmittelbare Konfrontation antiker Stätten mit dem modernen Mexiko auf. Bauruinen in Südostasien bezeugen politische und wirtschaftliche Krisen. Durch den plötzlichen ökonomischen Zusammenbruch ganzer Volkswirtschaften in Asien Ende der 1990er-Jahre blieben viele im Bau befindliche Gebäude unfertig. Der thailändische Künstler Manit Sriwanichpoom hält diese in eindringlichen, an Piranesis Ruinenphantasien gemahnenden Schwarzweißfotografien fest. Die ruinösen Auswirkungen von Naturkatastrophen hingegen veranschaulicht Ryuji Miyamoto ebenfalls in schwarzweißen Bildern. Diese zeigen die Überreste des epochalen Erdbebens, das im Jahr 1995 die japanische Stadt Kobe verwüstete.

Die meisten, wenn auch temporären Ruinen unserer Zeit entstehen jedoch schlichtweg durch urbanen Wandel. Darauf verwiesen bereits in den 1970er Jahren die sogenannten "Gebäudeschnitte" von Gordon Matta-Clark. Seine Auseinandersetzung mit Ruinen übt noch immer großen Einfluss auf junge Künstlerinnen und Künstler aus und wird in der Ausstellung an Fotografien seines Pariser Projekts Conical Intersect exemplarisch vorgeführt.

Ins Visier genommen wird auch die Landschaft als Ruine. Die architektonischen und landschaftlichen Ruinen in den Kohleabbaugebieten Nordrhein-Westfalens, aber auch die ruinösen Folgen aktueller kriegerischer Konflikte, wie etwa in Syrien, bilden die Grundlage von Dorothee Albrechts Bildatlas. In einer eigens entwickelten, flexiblen Ausstellungsarchitektur präsentiert sie die Ergebnisse ihrer umfangreichen Recherche und spannt dabei einen Bogen vom Rheinland bis zu den globalen Krisenherden unserer Zeit.

Wo: KAI10, Arthena Foundation, Düsseldorf
Wann: 24.06.2017 - 01.10.2017

www.kaistrasse10.de

Quelle: Pressemitteilung, KAI10, Arthena Foundation
Kuratoren: Julia Höner, Ludwig Seyfarth
Fotos: Achim Kukulies, Düsseldorf: Installationsansicht, Arata Isozaki & Manit Sriwanichpoom; Installationsansicht, Clemens Botho Goldbach